Taxigeplauder


Ich hatte erfolgreich den Preis für eine Fahrt mit dem Taxi von meinem Haus ins Stadtzentrum ausgehandelt und lehnte mich auf der hinteren Bank zufrieden zurück. Der Fahrer war schon etwas älter und sein Taxi war in einem sehr guten Zustand. Ein Umstand der eher selten war. Wie oft sass ich in dermaßen schrottreifen Taxis, dass ich es fast mit der Angst zu tun bekam, ob wir auch wirklich unfallfrei ankommen würden. Aber hier hatte ich eine gute Wahl getroffen: Der etwas ältere Fahrer fuhr routiniert, umsichtig und trotzdem zügig.

Ich sagte ihm, dass ich sein Taxi schön fand. Er freute sich darüber und sah dies als Einladung zu einer kleinen Plauderei.

„Wie heisst Du?“ fragte er. „Ich bin Mme. Ruth“. „Woher kommst Du?“ „Aus der Schweiz, aber ich lebe schon 17 Jahre hier in Dakar, Senegal.“ „Oh, dann bist Du Senegalesin!“ „Wawaw, ich habe auch die Nationalität.“ Er schaut über seine Schulter zurück zu mir. Ich grinse. „Gefällt es Dir hier?“ „Ja, ich möchte nirgends sonst sein“. „Das ist gut“ meint er zufrieden. Und dann kommt die unvermeidliche Frage: „Hast Du einen senegalesischen Mann?“. Da ich es einfacher finde, antworte ich mit einem „Ja“. Ansonsten hätte ich viele, viele Fragen beantworten müssen. Dazu hatte ich keine Lust. Ich wollte lieber das Thema wechseln: „Wie alt bist Du? Fährst Du schon lange Taxi in Dakar?“ „Oh ja, ich fahre schon seit 35 Jahren Taxi hier. Ich kenne Dakar und den ganzen Senegal sehr gut. Ich bin im Jahre 1952 geboren.“ „He, dann sind wir gleich alt! In welchem Monat bist Du geboren?“ Er nennt den 01.01.1952. Jetzt weiss ich, dass es lediglich ein ungefähres Datum ist. Wenn die Geburt Jahre nach der eigentlichen Geburt ins Geburtenregister eingetragen wurde, wird immer der 01.01. des entsprechenden Jahres genannt. Er konnte also genau so gut im September Geburtstag haben, wie ich. Lachend meinte ich: „Dann sind wir praktisch Zwillinge! Ich habe am 09.09. Geburtstag.“

Er freut sich sehr: „Ja, wir sind Zwillinge, gleiche Generation!“ Er beginnt zu erzählen, dass die jungen Taxifahrer heute ohne Disziplin sind. Dass sie keine Regeln beachten, dass sie oft viel zu aggressiv fahren. Es gäbe zu viele Unfälle. Er habe noch gelernt, umsichtig zu fahren. Allerdings sei heute der Verkehr in Dakar um ein vielfaches chaotischer und zahlreicher geworden. Damals seien die Strassen noch übersichtlich gewesen. Und sauber. Aber heute….

Und wieder muss ich grinsen. Es ist doch überall auf der Welt dasselbe. Wo auch immer ältere Menschen zusammen kommen, wird von den guten, alten Zeiten geschwärmt und dass die heutige Jugend nichts mehr taugt. Hier spielen Kultur, Hautfarbe und Herkunft keine Rolle. Es scheint einfach nur eine menschliche Angewohnheit zu sein.

Ich wollte mehr von ihm hören. Es ist für mich immer interessant, von einem früheren Dakar oder Senegal zu vernehmen. Ich sage: „Auch die Musik war früher besser. Nicht immer dieser billige Abklatsch, diese Laufmeter-Musik, die wir heute hören. Sei es nun Mbalax, HipHop, Salsa, Pop oder was auch immer!“ „Genau! Kennst Du das Orchester Baobab? Oder Thion Seck? Omar Pen? Oder die alte Musik von Youssou Ndour?“ Ich bejahte. Wir schwärmten eine Weile über die alten Musiker, die gute alte Zeit. „Dakar war ja viel, viel sauberer, besser organisiert. Aber es war auch sehr viel kleiner!“

Er erzählte noch ein wenig weiter über das damalige Dakar. Mir ging dabei durch den Kopf, wie sehr sich die Menschen doch ähnlich sind. Auch wenn die Erinnerungen im Detail nicht dieselben waren, so waren es doch Erinnerungen aus derselben Zeit. Bei mir aus Europa, bei ihm aus Senegal. Seine Stars hießen Thion Seck, Omar Pen usw. Aber er kannte auch meine Stars: Beatles, Rolling Stones, Jethro Tull, Pink Floyd, und so viele mehr. Auch im Senegal gab es in den 70er Jahren Studentenrevolten, jedoch ohne die bei uns so bahnbrechende Hippie-Ära. In den 68/70er Jahren war der Senegal gerade mal seit 8/10 Jahren unabhängig. Die Wandlung von einer französischen Kolonie zu einem souveränen Staat war noch nicht in alle Köpfe gedrungen. Ist es oft auch bis heute noch nicht unbedingt. Es war, wie auch in Europa, eine Zeit der Umwälzungen, des Neubeginns.

Dann waren wir am Ziel. Ich nahm seinen Namen und seine Telefon-Nummer auf. Einen guten Taxifahrer mit gutem Auto konnte ich später sicher wieder gebrauchen. Er freute sich und meinte, ich sei jetzt seine Zwillingsschwester. Er würde sich freuen, mich wieder zu fahren.

Zufrieden und beschwingt stieg ich aus seinem Taxi. Genau das liebe ich an meinem Leben hier: diese unverhofften Begegnungen. Sie sind immer wieder bereichernd und schön.

Mme. Ruth, 10.08.2018

6 Gedanken zu “Taxigeplauder

      1. Liebe Mme. Ruth, danke für Deine Zeilen! Ja, mir geht es wieder gut. Muß abwarten, es ist noch zu früh zum Jubeln. Wir haben hier Besuch aus Senegal( die Leute kennst Du auch, wer kennt Dich nicht!) . Ich habe jedenfalls einen sehr netten Tag bei meiner Freundin verbracht! Wir haben auch über Dich gesprochen. Ich wollte wissen, wie es Dir geht. Jetzt bin ich beruhigt. Liebe Grüße und alles Gute . Christel

      2. Liebe Christel
        Jetzt machst Du mich aber sehr neugierig!
        Du schreibst, es geht Dir wieder gut. Warst Du krank? Du kannst mir auf meine neue E-Mail-Adresse antworten: mme.ruth52@gmail.com .
        Und wer kennt mich bei Dir? Würde mich sehr interessieren! 😉
        Auf alle Fälle herzliche Grüsse an die, die mich kennen und natürlich auch herzlich an Dich, liebe Christel.
        Bis bald und einen schönen Abend Dir
        Mme.Ruth

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